Taucht in einem naturwissenschaftlichen Forschungsprojekt das Wort "Mensch" (japanisch: "Hito") auf, werden die Leute gleich mißtrauisch wegen etwaiger Implikationen. Das menschliche Leben und sogar die in den Genen programmierte Essenz des Lebens gelten nach statistischen Umfragen in Japan als etwas Heiliges, das anzutasten immer einer Rechtfertigung bedarf (Dentsu 1985; Information Office 1986).
__Viele Japaner erachten seit alters eine Erbkrankheit als Schande für die Familie. Gewöhnlich wird der Mutter die Schuld gegeben, die dann womöglich vom Ehemann und der Familie verstoßen wird. Die traditionell-religiöse Erziehung in Japan nährt die Vorstellung, daß eine angeborene Krankheit die Folge eines Fehlverhaltens in einem früheren Leben oder einer früheren Generation der Familie ist (Ohkura u. Kimura 1989).
__Zudem ist der Begriff "Projekt" in Zusammenhang mit einer bestimmten wissenschaftlichen Arbeit nicht populär, da in Japan lange Jahre hindurch der Einzelforscher die ideale Norm war, der unabhängig von Organisationen und ohne Kommunikationszusammenhang seine Spezialforschung trieb.
__So ist die Kombination dieser 3 Begriffe: "Human", "Genom" und "Projekt" für die japanische Öffentlichkeit irritierend, die gewöhnlich erst nach erfolgter Beschlußfassung über eine hohe Steuermittelzuweisung für ein großes Forschungsvorhaben von der Regierung informiert wird.
__Andererseits ist das Bestreben seitens der Universitätsforscher, der staatlichen Stellen sowie mancher privater Unternehmen sehr stark, alle wissenschaftlichen Erkenntnisse zu erschließen, die einen Beitrag zur technischen Führungsposition im internationalen Wettbewerb leisten könnten (Asahi Shinbun 1989).
__Gewiß sind die japanische Wissenschaft und Technik sowie das Management der Industrie als Grundlage der wirtschaftlichen Blüte Japans nach dem 2. Weltkrieg anerkannt, doch ist unter den Kennern der Situation unbestritten, daß die Grundlagenforschung in Japan nicht besonders kreativ ist. Die weltweite Expansion der japanischen Wirtschaft ist allein der enorm innovativen Anwendungstechnik zu verdanken.
__In diesem Sinne erwartet man, daß das japanische Humangenomanalyseprojekt eine gute Chance für die japanische Wissenschaft bietet, in der Grundlagenforschung etwas zu leisten, wenn sie vom Staat und von der internationalen Wissenschaftlergemeinde voll unterstützt wird.
__Dr. Wada, Professor für Biophysik an der Universität Tokyo, hat auf einer von der Science and Technology Agency 1986 veranstalteten Konferenz 5 Jahre nach Einrichtung des Automatic DNA Analysis Project - 1981 unter der Leitung von Dr. Wada gestartet - erklärt, daß das automatische DNS-Analysegerät jetzt theoretisch konzipiert und innerhalb von wenigen Jahren praktisch einsatzfähig sei, so daß die Analyse des menschlichen Genoms zu verwirklichen ist (Academic Council 1989).
Notwendigkeit und Probleme einer bioethischen Politik |
Wie schon gesagt, ist das Thema "Genom des Menschen" sehr heikel. Und das Unbehagen ist ja durchaus verständlich, bedenkt man dieses großangelegte, systematisch organisierte, staatlich finanzierte Forschungsvorhaben zur Humangenomanalyse.
__Eines der in der Öffentlichkeit geäußerten Bedenken betrifft die mögliche Verwendung von Ergebnissen dieser Humangenomanalyse in der Gesundheitsbeurteilung eines Menschen. Deswegen sollten der Schutz der Privatsphäre und das Prinzip der Freiwilligkeit in der Erhebung und Weitergabe von Informationen respektiert und gesetzlich verankert werden.
__Gemäß einer Verbraucherumfrage über den Komplex "Biotechnologie" in Tokyo kannten 85% der Befragten zwar das Wort, 77% aber sagten, daß sie nicht wüßten, was darunter zu verstehen sie. 45% sagten, sie seien interessiert - 10% davon stark interessiert-, und 54% bejahten ihr großes Interesse an der Anwendung der Biotechnologie auf dem Gebiet der Medizin zur Heilung von Krankheiten. Diese Meinung wurde von den 30jährigen beiderlei Geschlechts in gleicher Weise vertreten, während bei den 20jährigen der Frauenanteil besonders hoch lag, nämlich bei 66.7% (Dentsu 1985). Wir können diese Daten wohl auf den Komplex der Humangenomanalyse übertragen. Wenn man hier die Diagnose und Heilung von Erbkrankheiten in den Vordergrund stellte, bekäme man bei einer Umfrage gewiß ähnliche Trendwerte in der Öffentlichkeit.
__Ich selbst konnte vor dem Sonderkomitee für Biotechnologie und Biowissenschaft des Japanese Science Council auf dem Hearing zum Forschungsprojekt der Humangenomanalyse als vorgeladener Berater folgende Vorschläge machen:
1) Wir müssen sicherstellen, daß unsere individuelle genetische Information und unser genetisches Material nicht zu Manipulationen mißbraucht werden, z. B. auf dem Arbeitsmarkt, zu Versuchszwecen und in Verletzung der Privatsphäre.
2) Wir müssen die Rolle von Bioethikkommissionen auf Instituts-, regionaler und nationaler Ebene als positiv für die Entwicklung im Sinne der Verhütung, Heilung und klinischen Erforschung von Erbkrankheiten sehen.
3) Wir müssen mit den Wissenschaftlern anderer Länder, die am Humangenoforschungsprojekt beteiligt sind, zusammenarbeiten bei der Festlegung einer Art von "internationalen Richtlinien für die Humangenomforschung", einschließlich von Vereinbarungen über Patentrechte, Grundlagenforschung und Anwendung.
4) Wir müssen eindeutig jegliche genetische Manipulation zu eugenischen Zwecken ächten.
5) Wir müssen für die Einführung genetischer Aufklärungsprogramme in Schulen und dergleichen eintreten und für die Einrichtung genetischer Beratungszentren in Zusammenarbeit mit den örtlichen Krankenhäusern, den Kliniken, den Berufsorganisationen, den Wohlfahrtsverbänden und Religionsgemeinschaften.
6) Wir müssen unsere Politik zur Verwirklichung dieser sehr wichtigen Forschung abstützen durch die Mitarbeit aus den verschiedensten Bereichen, wie Jura, Medizin, Biologie, Soziologie, Wirtschaftswissenschaft und Religionsforschung, und auf breiter Basis vorantreiben.
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Beim Lesen der offiziellen Empfehlung des Japan Science Council zu diesen Aspekten der Humangenomforschung ist zu meiner Freude festzustellen, daß einige meiner ernsten Mahnungen und Anregungen in die Endfassung Eingang gefunden haben. Es war auch sehr geschickt, daß die Internationale Konferenz über Humangenomfragen im Juli 1990 in Tokyo stattfand. Veranstaltet wurde sie vom Council for International Organizations of Medical Sciences und dem Japan Science Council unter dem offiziellen Titel "Genetics, Ethics and Human Values. Human Genome Mapping, Screening and Medical Services". Ich gehörte dem Planungs- und Organisationskomitee dieser internationalen Konferenz an. Ich habe es in der Vorbereitungsphase als sehr wichtig angesehen, die öffentliche Diskussion zu intensivieren. In diesem Sinn brachte der International Bioethics News Letter (veröffentlicht vom Bioethics Project of the Advanced Research Center for Human Sciences, Waseda University, Tokyo, Japan) einen diesem Thema gewidmeten Artikel (Kimura 1989b).
__Die politische Einflußnahme ist im japanischen sozialen Umfeld allgemein sehr schwierig. Die Experten der Regierung und bestimmte Professionelle haben eine dominante Stellung und greifen die Probleme auf, analysieren und entscheiden sie gewöhnlich ohne eine öffentliche Debatte. Jedoch hat ein allmählicher Wandel der gesellschaftlichen Situation, ausgelöst durch die Basisbewegungen auf lokaler und regionaler Ebene seit den 60er Jahren, die die Menschenrechte, Patientenrechte, Frauenrechte und den Schutz der Umwelt einfordern, auch die traditionell paternalistischen Werte in der Politik ernsthaft ins Wanken gebracht (Kimura 1987). Die Bioethikbewegung der letzten 10 Jahre in Japan hat sich gesellschaftlich zumindest insofern ausgewirkt, als in verschiedenen medizinischen Institutionen Ethikkommissionen eingesetzt worden sind. Auch wenn diese nicht auf die Beteiligung des gesamten gesellschaftlichen Spektrums angelegt sind, da ihnen zumeist nur Mediziner der jeweiligen Institution angehören, können wir doch nicht umhin, die Bedeutung ihrer Existenz anzuerkennen (Kimura 1989a).
__Wie ich schon auf der Sitzung des Sonderkomitees für Biotechnologie und Biowissenschaft des Japan Science Council gesagt habe, bin ich sehr für die Einschaltung dieser Ethikkommissionen in Zusammenhang mit der Humangenomanalyseforschung und ihrer Anwendung im klinischen Bereich zur Heilung von Erbkrankheiten. Bis jetzt haben wir keine nationalen Gestze oder Vorschriften für ein solches ethisches Prüfverfahren, sei die Forschung staatlich oder privat finanziert. Als Bioethiker und Jurist bin ich zutiefst überzeugt, daß Japan den Schutz des Menschen in der biomedizinischen Forschung sichern muß durch Anerkennung der fundamentalen bioethischen Grundsätze, die im Bereich der Medizin in verschiedenen Ländern und in internationalen Gesundheitsorganisationen und Fachverbänden, wie der WHO, allgemein beachtet werden (Kimura 1988).
Nach der Vorlage zur Förderung des Humangenomforschungsprojekts, ausgearbeitet vom Academic Council (Gakujyutsu Shingikai) des Unterrichtsministeriums und datiert vom 25. 01. 1989, wird es zumindest 10 Jahre bis zur Erreichung des Forschungszieles dauern und müssen ganz enorme Summen aufgewendet werden. Diese Vorlage empfiehlt, das Forschungsprojekt so bald wie möglich systematisch in Angriff zu nehmen.
__Der Zeitplan für diese 10 Jahre sieht 3 Stufen vor (Academic Council 1989):
Stufe 1 (2 Jahre): Vorbereitung durch eine kleine Anzahl von Gruppen. Sammlung von Daten an menschlichen und anderen größeren Lebewesen, um die diesbezüglichen Probleme abzuklären sowie die Techniken der Humangenomanalyse auf den neuesten Stand zu bringen. Aufnahme der Forschung und Entwicklung in der Analyse von Massendaten. Ausarbeitung der Politik für die äußeren Bedingungen der Forschung.
Stufe 2 (5 Jahre): Arbeitsbeginn und Koordinierung einer erweiterten Anzahl von Gruppen. Einerichtung der äußeren Bedingungen für die volle Entwicklungsstufe des Projekts. Bemühen um eine reichere Datensammlung für die Genkartierung und die DNS-Sequenzierug. Die Betonung sollte auf der Förderung von Forschung liegen, die zum technischen Durchbruch für die Humangenomanalyse führt. Sobald die Anwendungsreife erlangt ist, sollte das Projekt wieder mehr systematisch organisiert werden.
Stufe 3 (3 Jahre):
Volle Entwicklung des Projekts durch eine große Anzahl von Gruppen und Forschern, die intensiv an der Humangenomanalyse arbeiten. Auswertung der Forschungsergebnisse der vorangegangenen Stuffen in Hinblick auf das Projektziel.
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Das dem Academic Council zur Beratung vorgelegte Papier führte auch folgende bei diesem Projekt unbedingt zu berücksichtigende 6 Punkte auf:
1) Die gebotene Interdisziplinarität des Ansatzes bei der Humangenomanalyse sowie der Genomanalyse überhaupt und die Zusammenarbeit zuwischen den verschiedenen Disziplinen bei der Entwicklung einer Forschungsmethodik und -systematik.
2) Bedarf an menschlichen Ressourcen.
3) Notwendige Weitergabe von Forschungsergebnissen.
4) Ethische Rücksichten in Zusammenhang mit diesem Projekt und mit der Anwendung der Ergebnisse.
5) Die erforderliche Sonderstellung dieses einmaligen Projektes, damit andere Forschungsvorhaben finanziell nicht beeinträchtigt werden.
6) Die Notwendigkeit, dieses Projekt möglichst bald aufzunehmen, in Anbetracht der schnellen und positiven Reaktionen in verschiedenen Ländern (Academic Council 1989; Kimura 1989b; Science and Technology Agency 1988, 1989). |
In Japan arbeiten bereits verschiedene Forschergruppen an Genen und an molekularbiologischen Fragestellungen in Hinblick auf Erbkrankheiten, jedoch befaßt sich - nach dem Stand vom Herbst 1989 - praktisch keine speziell mit der Humangenomanalyse. Wohl gibt es einige Forschungsgruppen, die mit der Genomanalyse zu tun haben, wie die Kartierung des Escherichia-coli-Genoms (Dr. Ohara, Universität Nagoya), die Bestimmung der Sequenz aller DNS-Basen von Chloroplasten (Dr. Sugiura, Universität Nagoya, und Dr. Ohyama, Universität Kyoto), Dr. Wadas Projekt für die automatische DNS-Analysetechnik, das Projekt zur Analyse des Humanchromosoms 21 von Rikagaku Kenkyujyo und Dr. Kanahisas Datenbankprojekt, um die wichtigsten zu nennen.
__Nachfolgend möchte ich noch einige für das Humangenom relevante Veröffentlichungen erwähnen, die für das wachsende Interesse und den Beginn der Vorbereitung auf dieses Projekt bezeichnend sind. Im Februar 1988 erschien ein Bericht, herausgegeben von der Special Cancer Research Group, über "Human genome analysis and cancer research" (finanziert aus dem Etat für naturwissenschaftliche Forschung des Unterrichtsministeriums). Im März 1989 wurde The comprehensive strategy for promoting R&D on human genome analysis vom Council for Aeronautics, Electronics and Other Advanced Technologies (Science and Technology Agency) veröffentlicht.
Bei uns in Japan wird der Pioniergeist und Arbeitseinsatz von Wissenschaftlern und Technikern hoch geschätzt. Die Experten in Wissenschaft und Technik sind üblicherweise wegen ihrer Kenntnisse und Fertigkeiten hoch angesehen. Diese Einstellung gründet sich vielleicht auf die autokratische, traditionale konfuzianische Moral in einem paternalistischen Gefüge sozialer Werte (Kimura 1986).
__Jedoch ist die japanische Gesellschaft seit den 60er Jahren in einem radikalen Wandel begriffen, wie ich schon angedeutet habe.
__Die Leute erwarten eingehende Auskunft und Aufklärung seitens der Experten, die ein Projekt in Angriff nehmen wollen, das für alle und jeden einzelnen ernste Folgen haben kann, wie das Humangenomprojekt. Auch auf der Seite der Politiker und Experten in Wissenschaft und Technik ist man sich der sozialen Rechenschaftspflicht mehr und mehr bewußt und geht auf die Forderungen der Laien ein (Kimura 1987).
__Bevor dieses Humangenomanalyseprojekt tatsächlich in Gang gesetzt wurde, gab es mindestens 3 offizielle Initiativen, die die Notwendigkeit einer national und international integrierten Politik zum Anliegen hatten. Und es wurden ernsthafte überlegungen über die ethischen, sozialen und rechtlichen Konsequenzen angestellt. Dies ist etwas Neues in unserem Land. Natürlich bleiben noch viele Fragen und Einzelheiten zu klären hinsichtlich der Implikationen einer total neuen naturwissenschaftlichen Forschung für den Menschen und die Gesellschaft.
__Japan könnte als Mitglied des internationalen Forscherteams in der Humangenomanalyse nicht nur einen Beitrag in Form technischer und wissenschaftlicher Innovationen leisten, sondern auch auf der menschlichen Ebene in dieser Zeit eines sich wandelnden Wertesystems.
__Das buddhistische Ideal des Einfühlvermögens in alles Lebendige, in die Natur und Umwelt könnte uns von unserem Anthropozentrismus befreien, wie im Verlauf der Forschung an der Humangenomanalyse und überhaupt der Genomforschung immer deutlicher werden dürfte (Kimura 1989c).
__Wohin führt uns unser Weg? Diese Frage ist gerade im Zusammenhang mit dem Humangenomanalyseprojekt eine Herausforderung nicht nur für den Wissenschaftler, sondern für alle, die wir über den Sinn des Lebens ernsthaft nachdenken.
Academic Council (1989) Ministry of Education: On the promotion of human genome program, 25 Januar 1989, Tokyo
Asahi Shinbun (1989) Kagaku Asahi (Scientific Asahi), Januar 1989, Tokyo
Council for Science and Technology (1988) Prime Minister's Office. Current status of the human science frontier science program (HFSP), Oktober 1988, Japanese Government, Tokyo
Dentsu (1985) Report of the Consumer's Attitude on Biotechnology, November 1985, Tokyo
Information Office (1986) Prime Minister's Office. Public Opinion Survey, April 1986
Kimura R (1986) Bioethik als metainterdisziplinäre Desziplin. Med Mensch Gesellschaft 114: S. 247-253
Kimura R (1987) Bioethics as a prescription for civic action: The Japanese interpretation. J Med Philos 12: 267-277
Kimura R (1988) Bioethics in the international community. In: Bernard J, Kajikawa K, Fujiki N (eds) Human dignity and medicine. Elsevier Science Publishers, Amsterdam, pp. 191-196
Kimura R (1989a) Ethics committees for "high-tech" innovations in Japan. J Med Philos 14: 457-464
Kimura R (1989b) Human genom analysis and bioethics. In: Bioethics Project, Advanced Research Center for Human Sciences, Waseda University, Tokyo (International bioethics network newsletter, No. 2)
Kimura R (1989c) Ancient cure for biotech fever. In: "World Link" (On the Ethical Frontier). WHO, Geneva, No. 3, p. 26
Ohkura K, Kimura R (1989) Ethics and medical genetics in Japan. In: Wertz DC, Fletcher JC (eds) Ethics and human genetics. A cross-cultural perspective. Springer, Berlin, Heidelberg, New York, Tokyo, S 294-316
Science and Technology Agency (1988, 1989) Government of Japan (The Comprehensive Strategy for Promoting R&D on Human Genome Analysis, 27 Juni 1988 und 27 März 1989)
Anregungen und Kommentare bitte an Prof. Rihito Kimura: rihito@human.waseda.ac.jp